Deutsche Experten: Vor bildgebender Diagnostik ein paar Wochen warten
Rückenschmerzen sind der Grund für rund 20 Prozent der Krankenstände. Bei 60 bis 80 Prozent der Patienten haben die Schmerzen keine organische Ursache. Eine neue deutsche Leitlinie zum "Kreuzschmerz" empfiehlt deshalb, erst dann eine bildgebende Untersuchung (Röntgen, MRT) anzuordnen, wenn der Schmerz nach vier bis sechs Wochen nicht abklingt, die körperliche Aktivität einschränkt oder zunimmt.
Diagnostik und Therapie bei Rückenschmerz
Das Thema Diagnostik und Therapie bei Rückenschmerz diskutieren Experten auf dem Deutschen Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU) in der kommenden Woche (25. bis 28. Oktober) in Berlin. "Im Vordergrund einer guten Diagnostik bei Rückenbeschwerden stehen die fachkundige Befragung des Patienten und eine sachgerechte körperliche Untersuchung", wurde Bernd Kladny, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC), in einer Aussendung zitiert.
Warnzeichen erkennen
Bei der Erstuntersuchung ginge es hauptsächlich darum, Warnzeichen zu erkennen, die auf gefährliche Erkrankungen wie zum Beispiel einen Wirbelbruch, einen Bandscheibenvorfall mit Nervenschaden oder eine Entzündung hindeuten. Dann kann der Arzt - je nach Verdachtsdiagnose und Dringlichkeit - weitere Untersuchungen oder eine Überweisungen in fachärztliche Behandlung anordnen. "Lassen sich keine entsprechenden Hinweise feststellen, kann man bei erstmaligen akuten Schmerzen in den ersten vier Wochen zunächst nur das Symptom Schmerz behandeln und den Patienten ausführlich aufklären", sagte Kladny.
In diesen Fällen helfen akut Schmerzmittel sowie Bewegung im Alltag und gezielte Übungen. Bei 80 Prozent aller Rückenpatienten klingen die Schmerzen innerhalb von wenigen Tagen oder Wochen wieder ab. "Tritt nach vier bis sechs Wochen bei anhaltenden aktivitätseinschränkenden oder zunehmenden Kreuzschmerzen keine Besserung ein, ist es angeraten, den Einsatz von bildgebenden Verfahren zu überprüfen", räumte der Experte aber ein.
Bei 90 Prozent kann auf Bildgebungsdiagnostik verzichtet werden
Bei mehr als 90 Prozent der Fälle kann den Vorgaben der Leitlinie entsprechend auf eine radiologische Bildgebungsdiagnostik verzichtet werden. "Bei einem ansonsten gesunden Patienten sind Röntgen oder teure bildgebende Verfahren wie die Kernspintomografie innerhalb der ersten vier Wochen bei fehlenden Warnhinweisen nicht zielführend", betonte Heiko Reichel, einer der Kongress-Präsidenten des DKOU und Präsident der DGOOC. "Bilder allein liefern oft auch keinen konkreten Hinweis auf die Ursache der Schmerzen, sondern diese müssen immer in Zusammenhang mit der Patientengeschichte und der Untersuchung beurteilt werden".
Gespräch mit dem Patienten ist unverzichtbar
Psychosoziale Faktoren, wie Stress oder Bewegungsmangel lassen sich nämlich auf keinem Röntgenbild erkennen, sagte Manfred Neubert, der als Kongresspräsident den Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU) auf dem DKOU 2016 vertritt: "Hier sind wir auf die Selbstauskunft des Patienten angewiesen. Dafür ist das Gespräch mit dem Patienten unverzichtbar." Das Arzt-Patientengespräch werde jedoch in Deutschland nicht ausreichend von den Krankenkassen vergütet - im Gegensatz zu den teuren Bildgebungsverfahren. Das müsste sich laut der Experten aus Orthopädie und Unfallchirurgie dringend ändern.